Freitag, 14. März 2014

"Nun ist es soweit..."

Als ich diesen Satz zu Svenja sage, wird mir ein bisschen mau ums Herz. Es ist der erste Morgen im März, ab heute kann ich rückwärts zählen. Die Hälfte meines Freiwilligendienstes ist vorbei. Dieser Gedanke erschrickt mich, außerdem fühlt es sich falsch an; bin ich doch gerade erst richtig angekommen.

Allgemein kann man mich zu den Personen zählen, die gerne visualisieren und zählen. Weil beides sehr schön ist, wenn man nicht rückwärts zählen muss, kombiniere ich es leidenschaftlich gerne (man kann es auch platt Tage-abstreichen nennen). Zuerst ist da der Fakt, dass man sich an etwas halten kann und zweitens sieht man eine Art Prozess, der kontinuierlich voranschreitet, auch wenn man selbst gerade eher die Unproduktivität in Person ist (was bei mir leider sehr oft zutrifft). Das Schreiben hier gefällt mir von Mal zu Mal mehr. Es lässt mich zurückschauen und hilft mir beim Begreifen, was ich hier Tolles erleben durfte, erlebe und sehr wahrscheinlich noch erleben werde. Mir ist es eine Freude, euch alle an dieser Reise teilhaben zu lassen. Aber nun fang ich endlich an. Und gleich eine Vorwarnung, es wird mit Garantie lang! Ich konnte mich schließlich noch nie kurz fassen.

Es ist der 1. September 2013, mein letzter Tag im trauten Heim. Pirmin und Theresa sind extra für ein paar Tage aus dem Süden angereist, für mich eine riesige Freude/Ehre. Die Nacht zuvor wurde zum Tag gemacht. Ein Abschied muss schon gebührend gefeiert werden. Nun stehe ich also in meinem Zimmer und versuche zu entscheiden, was in meinen Rucksack mit auf diese große Reise kommt. Sentimental wie ich bin, dreh ich eine ausführliche Runde durch's Haus. Man muss sich ja auch irgendwie von Orten verabschieden, die einem viel bedeuten. Zwischenzeitlich bin ich auf der Suche nach der Katze. Irgendwann nehme ich meine Geige in die Hand. Nun verabschiede ich mich also auch von einem Teil von mir, 13 Jahre Unterricht hinterlassen Spuren.
Gleichzeitig bin ich aufgeregt, dass es mich fast zerreißt. Schule ist abgeschlossen, Studium ist auch irgendwie klar - aber es ist Zeit für ein Abenteuer a la Antonia!

Ein Monat später: Antonia in den USA und sofort kollabiert dieses wunderbare Land, Governmental Shutdown. Ich bekam mehrere Mails mit Verschwörungstheorien, die eindeutig darauf abspielten, dass ich da doch meine Finger im Spiel hätte. Bis dahin war mir bewusst, dass ich schon Talent für ein paar Sachen habe. Aber in dieser Größenordnung, das hat sogar mich überrascht... :)

Knapp einen weiteren Monat später steht das zweite katastrophale Event an - mein Geburtstag. Mit selbstgebackenem Kuchen, Überraschungsgästen und Schokoladenfondue kann man aber auch einen 19. Geburtstag wunderbar "überleben". Neben der Arbeit ergeben sich existenzielle Fragen:

An welchem Ende hänge ich meine Hosen auf?

Oder zuerst: WOMIT hänge ich meine Hosen auf?

Wie kann man eine Bluse in NUR 10 Minuten bügeln? 

Für alle Verzweifelten: entweder auf http://www.frag-mutti.de/ vorbeischauen oder eben Mutti fragen. Beides meistens sehr aufschlussreich und letzteres ist eine besondere Freude für Mütter, weil man selbst mit dem Erreichen der Volljährigkeit immer noch auf den besten aller Räte vertraut/ wen soll man sonst fragen?

Die nächste Zäsur befindet sich grob am Anfang Dezember - alle Freiwillige treffen sich wieder in Philadelphia. Es wird viel geredet und vor allem tut es gut, mitzubekommen, dass andere ähnliche Probleme und Situationen erleben wie man selbst, dass jeder mal mit sich und der Welt gezweifelt hat, aber am Ende sich jetzt schon bewusst ist, dass dieses Jahr all die Gedanken, Mühen und Hürden mehr als wert ist. Verständnis zu empfinden bzw. zu spüren  war wohl meine größte Erkenntnis während der gemeinsamen Tage. 

Die Weihnachtstage daheim habe ich ausführlich genossen. Das größte Geschenk war allerdings während des Rückfluges die Erkenntnis, dass ich gerne nach DC zurückkehre und dass gleichzeitig die Menschen, die mir wirklich am Herzen liegen, garnicht so weit weg sind, wie ich es davor dachte. Allgemein lässt sich auch sagen, dass Denken hier zu einer meiner größten Sportarten mutiert ist. Auf Arbeit ist es meistens sehr ruhig, sodass man mehr auf seine innere Stimme hört als auf so manches Klackern der Tastatur. Die Erkenntnisse sind nicht immer einfach oder zufriedenstellend, aber ich bin dankbar, dass ich hier ein bisschen Zeit zum Vor-Mich-Hinphilosophieren habe. Die letzten zwei Schuljahre hatten eine Schlagzahl, die mich im Nachhinein schon irgendwie beeindruckt. Als ich meine Abiturzeitung dann letztendlich doch in den Händen hielt, war ich gespannt, was ich lesen würde. Und wurde sehr überrascht! Mir wurde sehr liebevoll nachgesagt, dass ich (jetzt etwas übertrieben) zwei Jahre mit einem Dauergrinsen durch die Schule gegangen sei. So hatte ich mich selbst nie wahrgenommen, eher potentiell launisch hätte ich erwartet. Solche Momente sehe ich als Geschenke dieses Jahres an mich an. Obwohl ich ja quasi mit meinen Gedanken seit nun mittlerweile 19 Jahren umherwandere, entdecke ich Seiten an mir, die ich so nicht gesehen oder länger mal vergraben hatte. Anscheinend bedarf es einer ordentlichen Portion Zeit und guter Freu(n)de, sich auf die wesentlichen Dinge zu besinnen.

Was ich nun aber nicht vergessen darf, ist, dass es mir auch nicht immer leicht fällt, alles einzuordnen und zu verstehen, sodass es mich zufrieden stellt. Schicksalsschläge lassen sich nicht planen und so erreichte mich kurz nach meiner Rückreise eine Todesnachricht, die mich immer noch tief beschäftigt. Zeit läuft ohne mich, ich nicht ohne ihr. Oft würde ich gerne zurückgehen können, aber dann wäre das Leben wohl keine Herausforderung mehr. Harry, dessen schallendes Lachen ich gerade höre und deshalb lächle, hätte das so auch nicht gewollt. Auch ich gnadenloser Optimist kann manche Nuss nicht knacken. Aber vielleicht muss ich nun aber auch lernen, dass es nicht für alles eine perfekte Lösung gibt. Dass Herzenssachen ihren eigenen Weg gehen, ohne meine kleinen Gedanken zu fragen.

Als wir uns nun vor ein paar Wochen abends die Oscars ansahen, beschlich mich das Gefühl, dass man manchmal, wenn man so garnicht damit rechnet, Antworten vor die Füße gesetzt bekommt, die man selbst versucht hat, ewig zu finden. U2, den meisten bekannt als die berühmteste irische Rockband, hat mir schon so manche Stunden in "Wie funktioniert die Welt" erteilt. 


"We can't fall any further
If we can't feel ordinary love
And we can't reach any higher,
If we can't deal with ordinary love"
 


- "Wir können nicht tiefer runter fallen, wenn wir keine gewöhnliche Liebe fühlen können. Wir können nicht höher hinaus, wenn wir nicht mit gewöhnlicher Liebe umgehen können." -

Die letzten Monate sind wortwörtlich verflogen; ich habe viel erleben dürfen und versucht, die rosarote Komplikationsbrille abzunehmen. Hiermit verspreche ich außerdem hoch und heilig, dass der nächste Bericht endlich mal wieder Fotos beinhaltet. Aber da ich ein bisschen über meinen Floridatrip und mein nicht abreißend wollendes Reisepech schreiben werde, bietet sich das auch gut an.


Wie immer nur die herzlichsten Grüße aus Lummerland,

Eure Antonia 

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