Montag, 30. September 2013

When A Big Country Shuts Down... oder eben: When I Find Myself In Times Of Trouble

Meine Lieben, es ist Montagabend und die ersten anderthalb Wochen Arbeit im Museum liegen hinter mir. Ich hab wieder einmal viel zu erzählen und weiß garnicht, wo ich am besten anfangen soll! Am besten damit, was mich morgen eventuell erwarten könnte - ein geschlossenes Museum. Hier in Washington geht es gerade heiß her, ob und wie es zu einem Kompromiss bezüglich des US-Haushaltes kommen könnte. Wie immer bin ich, was politische Entscheidungen angeht,  unsicher, was ich denken soll. Aber wenn ihr morgen früh aufsteht und ich ins Bett gehe, wissen wir alle mehr. Es wird interessant! Auf heute.de ist mir übrigens ein sehr treffendes Zitat über den Weg gelaufen:

"Bei der letzten Krise dieser Art, Ende 2012, standen die USA angeblich kurz vor dem fiskalischen Abgrund. Heute sind sie demnach einen Schritt weiter." Josef Braml


Zurück zu meinem tagespolitischen Geschehen. Mein erster Arbeitstag war am Freitag, 20. September. Ich, extra früh raus, hab mich echt ordentlich angezogen und bin losgestapft in Bundfaltenhose und weißer Bluse. Pünktlich war ich da und bin mit Diane, meine Supervisorin, zum Office. Auf dem Weg dorthin stellte sich heraus, dass am Freitag "Dressed Down" angesagt wäre. Erste Gedanken wie: "Na super, Antonia verreißt gleich mal alles am Anfang!" kamen auf. Das Office ist direkt im Museum hinter einer Tür, die man nicht unbedingt als solche erkennt. Aber davon sollte ich noch mehr kennenlernen. Also war ich bei dem Sicherheitsbeamten, um einen Badge (autorisierter Ausweis, der den Zugang zum Internet und das Betreten von Museum bzw. Bürogebäude regelt) machen zu lassen. Ich hab einen Zettel ausgefüllt, mal wieder meine Fingerabdrücke nehmen lassen und zu guter letzt noch ein wunderbares Bild von mir machen lassen, welches jetzt auch in meine Sammlung der verrissen und unvorteilhaften Ausweisfotos einspielt. Grandioser Tagesbeginn!
Aber das ist jetzt erstmal nebensächlich. Ich hab mich gefreut, dass es losgeht. Also Diane sagte, dass es (solange es schnell geht) 3 Wochen (Das FBI will auf Nummer sicher gehen, dass ich die bin, als die ich mich ausgebe.) dauert, bis ich diesen Ausweis in der Hand halte, hab ich Dumpfnuss natürlich nichts böses gedacht. 3 Wochen. Wobei mir schon da ein gewisser Unterton nicht verborgen geblieben ist. Wie schön ist doch jungfräulicher Arbeitselan! Jedenfalls sind wir komischerweise aus dem Museum raus und um einen Block gelaufen. Zu dem Zeitpunkt war ich tendenziell verwirrt. Dann stellte sich heraus, dass das Museum einen ganzen Bürokomplex besitzt. Um das zu verdeutlichen hier kurz die Adresse: Raoul Wallenberg Place 20024 - 2126. Das sind 2102 Hausnummern! Also rein, hoch und ab ins Büro. Was sehe ich da? Genau, wie man es sich eben vorstellt. So ein richtig schönes amerikanisches Großraumbüro, in dem man sich ernsthaft verlaufen kann. Hier kurz einen Dank an Mama, die meinen Orientierungssinn seit Kindheitstagen geprägt hat, in dem wir öfters mal in Tiefgaragen unterwegs waren. Theresa, auf dem Weg vom Kopierer zu meinem Schreibtisch hättest du dich übrigens gnadenlos verlaufen. :)
Ich lebe jetzt also in einem "portal", habe einen PC und jetzt verstand ich auf einmal, was Diane mir da mit meinem Ausweis sagen wollte. Kein Ausweis, kein Passwort, kein Computer, keine Arbeit. Faszinierend oder eben nicht. Aber das war mir dann alles zu hoch, da sollten sich andere mal den Kopf zerbrechen. In meinen Gedanken rannte ich meinem Wochenende entgegen, in der Realität kroch ich zur Metro. Ich hatte einen Tag gearbeitet und fühlte mich, als wäre eine Horde Elefanten über mich drüber. Wie soll ich da mit 15 Tagen Urlaub klarkommen? Meine erste Aktion zu Hause war das Recherchieren von Feiertagen - es gibt nicht viele. Aber da ich sowieso schon am Boden der Tatsachen bzw. auf dem Teppich lag, ging's da auch nicht tiefer.
Der Samstagmorgen hat mir ein langersehntes Ausschlafen beschert, was ich schmachlos ausgenutzt habe. Wir sind in die Stadt und ein bisschen auf der National Mall umher spaziert. Ich hab mich tierisch gefreut. Schaute nach links, das Capitol in voller Pracht. Wunderbar. Und ich sah nach rechts...





...da war dieser Obelisk doch wirklich komplett eingerüstet!  Aber was soll's, ich erleb hier viele Premieren in DC. Am Samstag bin ich dann sehr gespannt ins Bett, am nächsten Morgen erwartete mich schließlich der Wahlsonntag! Und was gibt es besseres, als aufzustehen und eine Stunde danach die ersten Hochrechnungen zu sehen? Man sollte öfters seine Wahlsonntage in den USA zubringen, sehr empfehlenswert! 
Am Montag startete dann meine erste richtige Arbeitswoche, ich war sehr gespannt, wie ich mich schlagen würde. Immerhin liegen hinter mir 4 Monate, in denen ich fast nichts anspruchsvolles gemacht habe. Tja, und dann gab's die große Überraschung: Kein Passwort, also auch kein Reinkommen in irgendwelche Gebäude. Das bedeutet: ich muss immer jemand kontaktieren, bevor ich ins Büro komme. Schon ziemlich bescheiden. Heute (30. September) stand ich eine halbe Stunde vor dem Eingangstresen, weil einfach niemand da war bzw. krank war bzw. in einem Meeting steckte. Es gibt schöneres am Morgen! 
Aber nun zu meiner Arbeit: Ich arbeite mit der ITS-Datenbank (International Tracking Service). Diese Datenbank hat ihren Sitz in Bad Arolsen, Deutschland und wurde während des 2. Weltkrieges intiiert, um möglichst viele Daten rund um Opfer des Holocaust und des Weltkrieges zu sichern. Diese Datenbank umfasst etwa 18 Millionen Personen und beinhaltet insgesamt 150 Millionen Artefakten (Karteikarten etc.). UNFASSBAR viel! Ich, bekanntlich der absolute Underdog bezüglichs EDV, Geduld und Puzzlebegeisterung, realisierte, dass ich genau diese drei Eigenschaften in den nächsten Monaten schulen würde. Wieder eine Aufgabe, die mich freut und mir gleichzeitig ein bisschen Angst bereitet. Seit einer Woche suche ich Personen aus einem einzelnen Ordner, aber ich erkenne meinen Fortschritt. Man kann seine Augen schulen und auch meine Suchweisen werden besser. Leider wurde mir heute wieder bewusst, wie riesig die Datenbank ist und dass es mich sicherlich noch ein paar Monate kosten wird, bis ich eine richtige Hilfe darstelle. Aber das ist es mir wert! 
Meine Mittagspausen stellen immer eine besonders schöne Zeit für mich dar, weil ich mich dann immer auf eine (mittlerweile meine) Parkbank an der National Mall bequeme und dort eine Weile einfach nur zuschaue und nebenbei esse. Und jetzt muss ich wieder anfangen, amerikanische Stereotypen zu charakterisieren. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie viele Menschen in ihrer Mittagspause ernsthaft rennen gehen! Wenn ich dasitze und ich keinen Jogger sehe, stimmt etwas ganz und garnicht. Meine top Beobachtungszahl liegt bei 16 Joggern aufeinmal! Das hat sich jetzt als das erste große Hobby herausgestellt. Das zweite ist eindeutig Shoppen! Es ist unvorstellbar, aber dazu möchte ich noch ein Samstagsbeispiel später bringen. Wenn ich also unter der Woche nach Hause kam, war ich fertig wie ein Turnschuh. Am Donnerstagabend gab es eine kleine Ausnahme, wir sind mit anderen deutschen Freiwilligen aus unserem Haus zu einem abendlichen Picknick. Hier kurz ein paar Eindrücke, ich hab es sehr genossen:







Wir saßen vor dem Jefferson Memorial, ein toller Abend!
Am Freitag freute ich mich wie Schmidts Katze auf meinen wohlverdienten Feierabend! Und fluxdibutz war ich zu Hause. Um kurz etwas dazu zu sagen: ich lebe ernshaft in einem Haus im Gebiet des Eastern Market. Und mit Haus meine ich Haus! Wir sind 10 Volontäre auf 3 Etagen. Es gibt drei Bäder und drei Küchen; ich bin rund um zufrieden! Für alle google-begeisterten Menschen hier der kurze Link: https://maps.google.com/maps?q=643+G+st+se+dc&ie=UTF-8&hq=&hnear=0x89b7b9cd32275ea5:0xb3f514cb8e468583,643+G+St+SE,+Washington,+D.C.,+DC+20003&gl=us&ei=VARKUs7mCrjd4AOdjICIAQ&ved=0CCwQ8gEwAA
Das Wochenende über haben wir es uns wieder gutgehen lassen und ich habe den Eastern Market erkundet. Hier gibt es sämtliches saisonales Gemüse und Obst preisgünstig und lecker. Mir hat es sehr gefallen und das wird als eine weitere Nahrungsquelle vorgemerkt. Nun zu meinem interessanten Shoppingerlebnis. Am Samstag sind wir in die Pentagon City Mall, die eine eigene Metrostation hat. Am Wochenende fährt die Metro übrigens nur alle 15 bis 20 min, ziemlich desaströs. Die Mall ist unverstellbar groß und eben alles, was Amerika verspricht. Was ich aber noch beeindruckender fand, war, dass im Zentrum dieser ein riesiger Lichthof ist, der unheimlich viel Ladenfläche sein könnte. Wenn man sich jetzt überlegt, dass bei amerikanischen Quadratmeterpreisen (Hauptstadtbonus inklusive) sich so ein Lichthof rechnet, muss die Mall unheimlich viel Geld einspielen. Und das macht sie auch! (Vielleicht sollte ich doch BWL studieren.)
Mein samstagliches Frühstück - in der Herausforderung liegt die wahre Freude.




Damit ich mich von diesem beängstigten Samstag erholen konnte, folgte am Sonntag Projekt Pancake. Meine waren ganz passabel...






Danach war ich mal wieder total fertig, aber der Tag hielt noch so manche Überraschung für mich bereit. Blusenwaschen. Nachdem ich nach einigem Googlen den richtigen Wäschegang gefunden hatte, wollte ich die lieben Blusen aufhängen und hab die Wäscheklammern gesucht. Pustekuchen! Die gab's natürlich nicht. Aber Not macht bekanntlich ja erfinderisch und mir ist eingefallen, dass ich da noch was in den Tiefen meiner Tasche eingepackt hatte. Haarklammern.






Meiner Ansicht nach könnte ich einen Survivalratgeber entweder für Männerhaushalte oder mittellose junge Damen schreiben. Das käme dann allerdings auf den Verlag und die Zielgruppe drauf an. Was den Männerratgeber angeht, kann ich auch einen ausgiebigen Monolog über Anzüge halten. In DC gibt es Männer, die wunderbare Anzüge und Kombis tragen. Allerdings gibt es dann auch immer wieder die Exemplare, die ihre Anzugshose als Baggypants tragen, damit die Falten in der Hose nicht vertikal, sondern horizontal werden. Wie gesagt: ich würde gerne darüber mehr schreiben, es ist zu amüsant! :)
Am Sonntag wollte ich eigentlich ganz bildungselitetechnisch in die National Portrait Gallery. Als ich dann davor stand, hatte ich keine Lust mehr, weil das Wetter bombastisch war. Stattdessen hab ich einen kleinen Trip durch Chinatown gemacht und möchte euch an meinen Eindrücken gerne teilhaben lassen. Chinatown möchte ich gerne noch näher erkunden, es ist sehr exotisch und man trifft viele junge Leute, was schlicht und ergreifend an der Universitätsnähe liegt.








Jedenfalls ist der Besuch des Museums fest geplant. Mein Reiseführer hat eine ausgesprochen vielseitige und lobende Beschreibung von sich gegeben, die ich gerne testen möchte!










Für alle Bondfans, die mich im Laufe des Jahres besuchen kommen sollten, ist hier nicht dran vorbeizukommen. Eine Ausstellung zu allen Bondrivalen. Ich hab mich wie ein Schnitzel gefreut, als ich das Banner entdeckte! Papa, diese Aufforderung geht besonders an dich! :)




Was mich besonders beeindruckt hat, ist die Tatsache, dass es in Washington unheimlich viele Radfahrer gibt. An jeder Ecke stehen super Rennrädern und in der Stadt gibt es Publicbikes, die man an einer Stelle aus der Verankerung herausnimmt, zahlt und dann einfach losdüst. Ich find's klasse!






Die unendlichen Abgründe der Hintergassen, unvorstellbar und dreckig. Eben einfach so.





Mein Burger des Vertrauen: Five Guys Burger aus Washington DC. Vergesst McDonalds und Burgerking, das ist sogar leckeres Fastfood!

Mein Sonntagabend sah dann ganz entspannt aus, richtig entspannt mit Bügeln. Spätestens in diesem Moment ist mir klar geworden, dass sich einiges verändert. Tagsüber laufe ich in Blusen und ordentlichen Hosen rum, komme mir vor wie 30 und mache die Arbeit von studierten Leuten. Immer noch finde ich das paradox. Schließlich bin ich noch nicht 30. Und genau aus diesem Grund hab ich entschieden, dass mein Leben hier neben der Arbeit erstmal anders sein muss. Ich trage meine Sneakers, steck mir meine Kopfhörer in die Ohren und lass den Stadtlärm verschwinden. Versuche, Ruhe zu finden. Bin weg und doch da.


Liebe Grüße aus Chinatown,
Eure Antonia



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